Sonntag, 17. Januar 2016

Mehr als Ballast - Ballaststoffe


Ernährungswissen(8)

Auf die große Bedeutung von ballaststoffreicher Vollwertkost für unsere Gesundheit machten schon Ernährungs-Pioniere wie der schweizer Arzt Maximilian Bircher-Benner im 19. Jahrhundert und der deutsche Zahnarzt Johann Georg Schnitzer im mittlerten 20. Jahrhundert aufmerksam. Erste wissenschaftliche Belege wurden 1977 von dem irischen Chirurgen Burkitt erbracht.[1] Er verglich Krankheitsverteilungen und Ernährungsgewohn heiten in Afrika und Westeuropa und schrieb das Buch "Don't Forget Fibre in your Diet" (Vergiss nicht die Fasern in deiner Nahrung). Das war der Beginn der wissenschaftlichen Diskussion über das Thema Zivilisationskost und Zivilisationskrankheiten, wenngleich schon Studien aus den 50er und 60er Jahren einen Zusammenhang von Fleischkonsum und Dickdarmkrebs nahelegten.

In meinem Artikel über Prostatakrebs wies ich darauf hin, dass die Autoren u.a. den hohen Ballaststoffgehalt der veganen Nahrung als einen wichtigen Schutzfaktor ansehen.  
Bei anderen Krebsarten zeichnet sich etwas ähnliches ab. So kommt im Jahr 2000 die EPIC-Studie[2] zu dem Ergebnis, dass Menschen mit hoher Ballaststoffaufnahme (durchschnittlich 35 g) ein um   40 % niedrigeres Dickdarmkrebs-Risiko aufweisen als Menschen mit niedriger Ballaststoffaufnahme (durchschnittlich 15 g)[3]. Als belegt kann gelten, dass balaststoffreiche Ernährung das Risiko verringert an Herzinfarkt, Gallensteinen, Divertikulose / Divertikulitis (eine chronisch degenerativ-entzündliche Erkrankung der Dickdarmwand) und Zahnkaries zu erkranken. Diabetikern wird zu ballaststoffreicher Ernährung geraten, um das Blutzuckerprofil zu verbessern und damit Folgeerkrankungen von Diabetes zu vermeiden bzw. zu verlangsamen. Ballaststoffe senken durch Bindung von Gallensäuren das Cholesterin. Die großen Ernährungsgesellschaften empfehlen eine tägliche Aufnahme zwischen 25 und 30 Gramm Ballaststoffen mindestens. Tierliche Nahrung ist nahezu frei von Ballaststoffen.

In der Biochemie unterscheidet man wasserlösliche von wasserunlöslichen Ballaststoffen und teilt sie in verschiedene Untergruppen auf. Für unser Ernährungswissen ist das  unerheblich.
Gemeinsam ist den Ballaststoffen, dass sie für uns unverdaulich sind, weshalb man sie früher für überflüssig hielt und als Ballast ansah. Es sind vor allem die physikalischen Eigenschaften, die sie für uns wertvoll machen. So erfordern sie eine höhere Kauleistung, was sich durchblutungsfördernd auf die Zähne und das Zahnfleisch auswirkt. Auch wird der Speichelfluss gefördert und das Speichelmilieu günstig beeinflusst, was sich ebenso positiv auf die Zahngesundheit auswirkt. Das Nahrungsvolumen vergrößert sich durch  Aufquellen im Verdauungstrakt, wodurch früher ein Sättigungsgefühl eintritt und länger anhält. Magen und Darm müssen sich intensiver bewegen um den Nahrungsbrei durchzumischen und vorwärts zubewegen (verstärkte Peristaltik), eine Tendenz zur Verstopfung nimmt stark ab. Die Darmdurchblutung nimmt zu, die Schleimhaut wird stabilisiert, dies könnte auch einen antiallergischen Effekt haben. Die Sekretion von Bauchspeichel steigt an, Verdauung wird verbessert, die Darmpassage der Nahrung wird beschleunigt. Schädliche Substanzen in der Nahrung haben weniger Zeit aufgenommen zu werden und sind schneller ausgeschieden, zum Teil werden sie auch an Ballaststoffe gebunden. Zucker wird aus faserreicher Nahrung  langsamer freigesetzt. Blutzucker- und Insulinspitzen fallen deutlich niedriger aus. Dies wirkt auch einer Gewichtszunahme entgegen.

Und es gibt sogar biochemische Effekte. Durch bakteriell bedingte Umsetzung der Ballaststoffe entstehen kurzkettige Fettsäureverbindungen, u.a. Butyrate, die jedenfalls im Zellkulturversuch einen Tumor-Unterdrückungsmechanismus auslösen, indem die Bildung des Antitumorfaktors TGF-beta stimuliert wird.[4] Durch einen positiven Einfluss auf die Darmbakterienflora könnte auch die Immuabwehr verbessert werden. 

Wo sind sie drin die Ballaststoffe? Nennenswerte Mengen, die einen Beitrag zum Anteil in der Nahrung leisten, finden sich ausschließlich in Pflanzenkost. Doch gibt es auch hier nennenswerte Unterschiede. Besonders hohe Gehalte an Ballaststoffen und damit nominiert für die Top10 der veganen Grundnahrungsmittel sind 
bei den Gemüsen u.a. (Zahlen sind Gramm Ballaststoff pro 100 g Nahrungsmittel)
                  Hülsenfrüchte, Kohlsorten und Wurzelgemüse (3-8,Süßlupine14)
bei den Obstsorten u.a.
                  Beerenobst  (3-5)
bei Nüssen und Trockenobst u.a.
                  Pflaumen,Aprikosen,Datteln,Feigen,Mandeln,Hasel,Kokos (7-10)
bei den Getreiden u.a.
                  Vollkorn (8-10, Roggen bis 14)
bei den Pseudogetreiden u.a.
                  Vollkorn (5-7 z.B. Amaranth,Quinoa,Hirse,Buchweizen
bei den Saaten
                   Leinsamen (34),Mohn (20)


Als sehr ballaststoffreiche Nahrungsergänzungen stehen Getreidekleien zur Verfügung. Sie enthalten zwischen 20 % (Haferkleie) und 50% (Weizenkleie) Ballaststoffe. Sie enthalten selbst kein Wasser und können bis zu 400 % ihres Eigengewichts an Wasser binden. Daher ist beim Einsatz solcher Nahrungsergänzungen unbedingt auf eine großzügige Trinkmenge zu achten, um eine u.U. schwere Verstopfung zu vermeiden. Vegane Ernährung braucht, wenn sie vollwertig ist, solche Nahrungsergänzungen nicht. 

Und damit sei einmal mehr darauf hingewiesen, dass vegane Ernährung nicht automatisch gesund ist, sie muss erst mal vollwertig sein und soll möglichst wenig verarbeitete Nahrungsmittel enthalten. Seitan zum Beispiel ist praktisch frei von Ballaststoffen. Augen auf und guten Appetit!

Quellen:

[1]DP. Burkitt, HC. Trowell: Dietary fibre and western diseases. In: Ir Med J., 1977 Jun 18, 70(9), S. 272–277.

[2]European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (1992-2000) 

[3]High Fiber Diet Reduces Colorectal Cancer Risk The Lancet, Volume 361, 3 May, 2003, pp. 1496-1501

[4]Nguyen KA et al.Dietary fiber enhances a tumor suppressor signaling pathway in the gut.Ann Surg. 2006 May;243(5):619-25; discussion 625-7

Foto:pixabay.com 

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