Sonntag, 26. Juni 2016

Deutsche Ärzte warnen jetzt vor veganer Ernährung in der Stillzeit und für Säuglinge - Aber warum?


Meinungen(5)

Darum: Am 24. Juni 2016 hatte ich wie jeder in Deutschland tätige Arzt die jüngste Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes in meiner Post. Darin ein schon auf der Titelseite angekündigter Artikel zur ärztlichen Fortbildung mit der Möglichkeit, drei der begehrten Fortbildungspunkte zu ergattern. Der Titel : "Stillen und Beikost - Empfehlungen für die Säuglingsernährung"[1].

Auf den Seiten 435 bis 444 findet sich das Ergebnis einer  Literaturrecherche aus 40 Arbeiten zur Säuglingsernährung der Jahre 2009 bis 2015 präsentiert von Dr. Christine Prell und Prof. Berthold Koletzko von der Kinderklinik der Universität München.

Auf Seite 441 unter der Zwischenüberschrift "Alternative Ernährungsformen im Säuglingsalter" ist es dann soweit. Dort heißt es: "Bei einer veganen Ernährung im Säuglingsalter ohne Nährstoffsupplementierung besteht ein hohes Risiko für Nährstoffdefizite."  

Diese Aussage ist allerdings im Gegensatz zu vielen anderen hier nicht mit einer Literaturquelle versehen. Wie auch? Denn wie wir von Dr. Markus Keller kürzlich auf dem VegMed-Kongress 2016 gehört haben (http://vegan-auf-rezept.blogspot.de/2016/05/vegane-kinderernahrung-eine.html), existieren keine Studien, die so etwas belegen können. 

"Insbesondere die zu niedrige Zufuhr von Vitamin B 12 kann zu einer irreversiblen neurologischen Schädigung, die auch bei gestillten Säuglingen vegan ernährter Mütter auftritt" heißt es weiter[3]. In dem hierzu zitierten Artikel wird sage und schreibe ein Fall beschrieben.

Und bitte welche/r Veganer/in ist über Vitamin B 12 noch nicht informiert?

Mit dem Satz "Auch die oft schlechte Versorgung mit DHA, Vitamin D, Eisen und Zink hat Nachteile für die kindliche Gesundheit und Entwicklung" endet der medizinische Exkurs in  veganer Ernährung wieder ohne Quellenangabe.

Wer sich bereits ein bisschen auskennt weiß, dass Nahrung keine nennenswerte Vitamin D-Quelle ist, dass DHA aus Algen stammt und in Fisch, aber sicher nicht in Fleisch vorkommt und dass es für  Eisen und Zink wunderbare pflanzliche Quellen gibt. Dass auch für vegane Säuglinge eine vegane Vitamin-D-Prophylaxe sinnvoll ist, wenn es an Sonnenlicht mangelt, ist eigentlich selbstverständlich. Falls nicht sei es hiermit gesagt.

Nebenbei fällt auf, dass andere sogenannte "kritische Nährstoffe" der veganen Ernährung gar nicht genannt werden. So fehlen mir hier die Hinweise auf Kalzium, Jod, Vitamin B2 und B6. Auch fehlt mir ein Hinweis darauf, dass in Schwangerschaft und Stillzeit bei der Mutter ein deutlicher  Mehrbedarf von Vitamin A bzw. Betacarotin, Vitamin B2, B6, B12, Vitamin C, Kalzium, Magnesium, Eisen, Jod und Zink besteht. Auch ist kein Hinweis auf die Bedeutung ausreichender Folsäurespiegel zur Zeit der Empfängnis (Befruchtung) und Frühschwangerschaft zu finden. Dieser Mehrbedarf kann allerdings keinesfalls durch den Verzehr tierlicher Nahrungsmittel gedeckt werden, sondern nur durch eine abwechselungsreiche und gerne vegane Vollwertkost. Ich finde diese "Fortbildung" in keiner Weise informativ für Ärzte und ihre Patienten.

Das Beste habe ich Ihnen aber noch vorenthalten: Taktisch eingeleitet wird der verbale Feldzug gegen die vegane Lebensweise nämlich schon auf Seite 439. Hier ist zu lesen: "Früher Verzehr von Fleisch, Leber und Fisch ist positiv mit kindlichem Gedeien und späterer kognitiver Entwicklung verbunden. [Und wer möchte schon riskieren, dass seine/ihre Kleinen später nicht helle sind im Köpfchen?]. Hiefür wird sogar eine Quelle angegeben[2]. Ich habe  die Originalarbeit zur Quellenangabe durchgelesen und stelle fest, dass eine solche Schlussfolgerung nirgendwo zu finden ist. Für Hinweise auf etwas Gegeteiliges wäre ich wirklich sehr dankbar.

Schade eigentlich, dass wieder einmal eine Chance verpasst wurde, Menschen mit einer veganen Weltanschauung ernst zu nehmen, um sie medizinisch gut beraten zu können. Stattdessen wird eine Lebensweise, die jegliche Erzeugung von Tierleid ablehnt, unnötigerweise einmal mehr als gefährlicher Unsinn dargestellt.

Seit Jahren bin ich ein großer Anhänger der Tranformationslehre nach Robert Betz und daher stets darum bemüht, keine verurteilenden Gedanken zu denken. Ich kratze mich also am Kopf und denke: "Friede sei mit ihnen!" Hauptsache, meine Leser sind informiert.
 


Quellen

[1]Prell, C; Koletzko, B:Stillen und Beikost.Empfehlungen für die Säuglingsernährung.Breastfeeding and complementary feeding.Recommendations on infant nutrition.Dtsch Arztebl Int 2016; 113(25): 435-44; DOI: 10.3238/arztebl.2016.0435

[2]Koletzko B et al.:Current Information and Asian Perspectives on Long-Chain Polyunsaturated Fatty Acids in Pregnancy, Lactation, and Infancy: Systematic Review and Practice Recommendations from an Early Nutrition Academy Workshop.Ann Nutr Metab 2014;65:49-80 (DOI:10.1159/000365767)

[3]Cassella EB et al.:Vitamin B12 deficiency in infancy as a cause of developmental regression.Brain Dev. 2005 Dec;27(8):592-4.


Fotos: pixabay.com

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