Montag, 3. Juni 2019

Neues biochemisches Erklärungsmodell für die möglicherweise krebsbegünstigende Wirkung von Rindfleisch und Kuhmilchprodukten

 



Wissenschaft & Forschung(22)


Dass der Verzehr von rotem Fleisch die Entstehung von Dickdarmkrebs begünstigt wird bereits seit dem zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts vermutet. Erste wissenschaftliche Belege hierzu stammen aus den 1950er Jahren. 

Seit einigen Jahren stehen auch zunehmend Kuhmilchprodukte im Vedacht. Während man bei Milchprodukten bisher die Rinder-Wachstumshormone als möglicherweise ursächlich ansah, hat nun der Mikrobiologe und Nobelpreisträger Professor Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungsinstitut in Heidelberg eine Gemeinsamkeit zwischen Rindfleisch und MIlchprodukten entdeckt, den Bovinen Meat and Milk Factor, kurz BMMF.  


Der BMMF (Rinder Fleisch- und Milchfaktor) ist ein von zur Hausen und seinem Team entdeckter einsträngiger DNA-Ring, ein sogenanntes Plasmid, eine bei Bakterien übliche Form des Erbgutes. Und tatsächlich gibt es Übereinstimmungen zwischen dem BMMF und dem Erbgut des Bakteriums  Acinetobacter baumannii, welches aber in seiner originären Form nicht zu finden war.

Man untersuchte systematisch das Fleisch und die Milchprodukte von verschiedenen eurasischen Hausrindrassen, das sind die verschiedenen Zuchtformen des domestizierten eurasischen Auerochsen. Dabei entdeckte man bei zahlreichen Tieren zwei einander ähnelde Plasmide, den BMMF 1 und BMMF 2. Die besondere Entdeckung dabei war, dass diese Plasmide eine Transskriptionsaktivität besitzen, das heißt, das sie in menschliche Zellen eindringen können, um dann dort die eigentlich zelleigene Proteinbiosynthese dazu zu bringen ein Protein (Eiweßmolekül) nach ihrem Plan zu bauen. Ein zelluläres "Highjacking" ähnlich dem Vermehrungsmechanismus von Viren.  
Das dabei entstehende Protein, wird vom Immunsystem als körperfremd erkannt, was die Bildung von Antikörpern zur Folge hat und eine chronisch entzündliche  Reaktion in der Dickdarmschleimhaut auslöst. Dabei entstehen freie Radikale, die zu einem "Teufelskreis" der Entzündung führen. BMMF fanden die Forscher in der entzündlichen  Dickdarmschleimhaut von Menschen mit Dickdarmkrebs.

Die chronisch entzündlichen Prozesse, so vermutet man, sollen mit einer Latenz von Jahrzehnten durch spontane Zellmutationen die Entstehung von bösartigen Tumoren des Dickdarmes fördern. In den Krebszellen selbst konnte der BMMF und sein Protein nämlich nicht nachgewiesen werden.

Dieser biochemische Zusammenhang fand sich auch bei Brustkrebs. Hinweise verdichten auch bezüglich der Entstehung von Lungenkrebs, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und degenerativen Erkrankungen des Nervensystemes.

Voll gestillte Säuglinge sollen durch komplexe Zuckermoleküle der Muttermilch eine  Immunität besitzen, doch bereits mit Beginn der Abstillphase beginnt die "Infektionsgefahr".


Quelle: zur Hausen et al.:Specific nutritional infections early in life as risk factors forhuman colon and breast cancers several decades later, Int. J. Cancer:144,1574–1583 (2019)


Noch ungeklärt ist die Frage, ob es sich um eine Form von Infektion der Rinder handelt, welche über Fleisch und Milch auf den Menschen übertragen werden kann, also um eine sog. Anthropozoonose.

Die Frage, in wie weit genetische Dispositionen (familiäres Risiko), individueller Lifestyle inclusive Ernährung, Psyche und andere Faktoren den Verlauf und eine Chronifizierung der "Infektion" mit krebsbegünstigender Wirkung beeinflussen können, bleibt hier natürlich ebenso unbeantwortet wie die Frage nach einer therapeutischen Option. 

Unsere Darmgesundheit ist von vielen Faktoren abhängig. Krebs ist aus meiner Sicht fast immer ein multifaktorielles Geschehen und hat immer viele einzelne Ursachen, die in der  Summe dann dazu führen, dass an einem bestimmten Ort im Körper das Wachstum veränderter Zellen aus der Kontrolle gerät.


Foto: Myriam Zilles bei Pixabay®

 

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